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Dr. Ingrid Koch
Heinz Weißflog
Heinz Weißflog
Sybille Nütt
 

Halbe Halbe

Sächsische Landesärztekammer
Ausstellungseröffnung
Michael Schwill "Halbe Halbe"
 
Dresden, den 15. März 2007
Meine Damen und Herren,
verehrte Freunde,
verehrter Herr Dr. Boerner,
lieber Michael Schwill,
 
in Abwandlung eines Bibelwortes könnte man mit Blick auf die heutige Ausstellung sagen: "Am Anfang war die Farbe!". Satt, schwer und explosiv zeigt sie sich auf Bildern von Michael Schwill, aber auch sonnig, leicht und fruchtig-üppig. Bei genauerer Betrachtung kann man rein äußerlich zwei Arten des bildnerischen Herangehens unterscheiden: Zum einen bildet sich um einen mehr oder weniger ausgebreiteten strahlenden "Kern", aus dem oft Weiß, Gelb und Rot hervorstechen, ein in dunklem Blau, Violett bis Schwarz, aber auch in Grün magisch-leuchtendes Umfeld von geheimnisvoller Tiefe. Wie eine Umkehrung davon erscheint die andere Gruppe, wo eine helle, man könnte sagen sonnige Fläche, einen "Kern" umgibt, der aus dunkleren Tönen, Braun, Rot, Schwarz, Blau, oft auch in Korrespondenz mit Weiß, gebildet ist.
 
Das zweite auffällige Merkmal der Malerei von Michael Schwill ist ihr Duktus. Dicke, häufig gespachtelte Aufträge von Ölfarbe sind vorrangig. Seltener zeigt diese sich in dünneren, breit gezogenen Bahnen. Festzuhalten ist: Was man angesichts der Farbexplosionen auf den Leinwänden und Tafeln gar nicht vermuten möchte, ist eine Tatsache - Michael Schwill gehört zu den bedächtigen Malern. Das hat zum einen ganz einfache, gewissermaßen "materielle Gründe". Denn je dicker die Ölfarbenschicht ist, desto länger braucht sie halt zum Trocknen. Und möchte man, dass die Farben so leuchtend klar erscheinen, wie man das hier sehen kann, dann muss die untere Schicht ganz trocken sein, bevor man noch eine andere darauf bringen kann, um dem Ganzen vielleicht ein Licht aufzusetzen. Zum anderen arbeitet Michael Schwill auch nach. Er lässt zunächst die Bilder ein Viertel- oder Halbjahr stehen. Und wenn er dann wieder drauf schaut - mit kritischem Blick -, ändert er manchmal dieses oder jenes.
 
Meine Damen und Herren,
 
wie aber geht er vor? Anfänglich setzt er Farben zueinander - Flecke, Pinselbahnen, einen Spachtelabstrich. Er nimmt sich zunächst nichts Bestimmtes vor. Er versenkt sich in das Malen. Er schaut, was passiert. Er träumt sich in die Welt der Farben, die Bewegung des Pinsels oder Spachtels. Aber wenn er auch zunächst kein fest umrissenes Ziel hat, mit dem Fortschreiten zum Bild kommt eins zum anderen. Und nicht zuletzt gibt es "Gesetze" der Malerei, die Form, Farbe und Komposition betreffen: Farben etwa stehen zueinander oder auch nicht. Und ebenso muss ein Bild Konzentrationspunkte haben ....
Abgesehen von diesem formalen Prozess läuft ein zweiter, damit verschränkter: Denn im Laufe des Malvorgangs deuten sich Formen an, die ihrerseits innere Bilder aufleben lassen, die irgendwo im Unterbewusstsein schlummern. So entsteht ein Wechselspiel zwischen physischem Malvorgang und aus dem Unterbewusstsein aufsteigenden Vorstellungen und Assoziationen, die das bereits Entstandene beeinflussen, zu neuer Gestalt führen, die sich wiederum verändert, bis sie irgendwann einen Status erreicht, der den Maler vorerst zufrieden stellt.
Dass sich Michael Schwill die Bilder nach längerer Zeit noch einmal vornimmt, sagte ich schon. Manches hat sogar eine jahrelange Entstehungsgeschichte. Und mitunter ändern sich die Assoziationen, die er mit einem Bild verbindet. Dann kann es auch vorkommen, dass er den Titel ändert: So hieß "Brunnstein" (2004) einmal "Schmetterling", was für den unvoreingenommenen Betrachter durchaus nach wie vor einleuchtend ist. Fertig ist ein Werk Schwills, wenn der Rahmen drum ist - gleich ob rund oder eckig. Bezog er diesen früher in seine Bilder direkt mit ein, passt er ihn nun farblich der Bildstimmung an (Schauen Sie sich das Bild "Sie hört ins Herz" von 2005 auch unter diesem Gesichtspunkt an!)
 
Überhaupt die Titel! Sie entstehen im Nachhinein, angesichts des fertigen Bildes. Sie sind Ausdruck der Assoziationen des Künstlers. Die sind mal ganz in der Tiefe des Ichs beheimatet, haben vielleicht auch dunkle Urgründe. Andere wieder sind Ausdruck freudiger Momente und Erfahrungen, die auch Landschaftliches einschließen. Viel Leidenschaft spürt man, ebenso fernes Brodeln oder Bedrohliches. Dann wieder Nachdenkliches, nicht ohne Witz. Mancher Titel ist unglaublich eingängig. Etwa der "Mandarin" (2001). Es ist das das Bild dominierende Gelb, die Farbe, mit der innen die Gewänder dieser chinesischen Beamten ausgeschlagen waren, das Schwill zu diesem Titel inspirierte.
Oder das kleine Bild "Mit 90". Für mich ist das ein Kopf, der ein wenig nicht mehr ganz von dieser Welt ist. Überdeutlich scheint sich die Schädelform abzuzeichnen. Die "Begrüßung" dagegen erinnert schon ein wenig an den großen Auftritt - nicht nur wegen des Bildformats. Und wie ist das? Begrüßt dort jemand sein Spiegelbild oder ein reales Gegenüber?
So ermuntert Michael Schwill die Betrachter seiner Werke, die eigene Assoziationskraft zu entfalten. Aber nicht alle Titel erschließen sich. Mitunter hat man möglicherweise eine andere Assoziation, weil ja immer die eigene Persönlichkeit in die Interpretation einfließt. Mitunter auch dringt man nicht in das Geheimnis des Bildes. So ist Kunst halt! Nicht für jeden liegt immer alles zutage. Und manches Geheimnis bleibt beim Künstler.
 
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Verehrte Anwesende,
 
Michael Schwills Art Bilder zu malen, erinnert an das Vorgehen der Surrealisten der 20er/30er Jahre. Innere Vorstellungen, Träume, das Unbewusste waren für ihre Arbeit ausschlaggebend. Ihr Formvokabular reichte von der spontanen, der écriture automatique verhafteten Abstraktion über Zitate der Realität in eigenartigen traumhaften Verbindungen bis zu Visionen des Schreckens mit Wesen, die an Geister und Gespenster erinnern. Manche der Surrealisten experimentierten auch mit Rauschmitteln, um zu solchen Bildern zu kommen. Später, in den 40er Jahren, "verloren" sich bei einigen dieser Künstler - es waren die Vorläufer des Informel - die Formen. Was blieb, war die Methode, Bilder aus dem "Ich" zu schöpfen.
 
Michael Schwill entstammt freilich einer anderen Zeit, hat eine andere Schule durchlaufen. 1962 in Genthin geboren, der Stadt, die man in der DDR gedanklich mit Waschmitteln, aber gewiss nicht mit Kunst verband, machte er sich zunächst nach Magdeburg auf. Er lernte Dreher und begann, nebenbei seine künstlerischen Talente zu bilden, 1986/87 unter anderem mit einem Abendstudium an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig. Danach ging es zielgerichtet weiter: zunächst für zwei Jahre an der den Leipzigern nicht nur räumlich nahen Burg Giebichenstein in Halle. Dabei merkte er wohl, dass sein Interesse vor allem dem Malerischen galt. Um dies auszuleben, schien ihm Dresden verständlicherweise der richtige Ort. Vor allem zog ihn Hubertus Giebe an, den er als Maler schätzt und der dazumal Dozent an der HfBK war. So begann er 1989 mit dem Studium in Dresden. An der Hochschule begegnete er auch Siegfried Klotz. Das Bild hier in der Ärztekammer vermittelt eindrücklich, was der leider viel zu früh verstorbene Künstler und Professor für die Malerei für manche Studenten wohl bedeutete. Claus Weidensdorfer als phantasievoller, ebenfalls auf Assoziationskraft setzender Künstler, und Horst Leifer, begnadeter Zeichner, aber auch Maler - beide damals Lehrer an der Kunsthochschule - beeindruckten Michael Schwill ebenfalls.
 
Gleichwohl sind seine Bilder mit ihrer dick und schrundig aufgetragenen Farbe und ihrem gemäßigt expressiven Ausdruck etwas ganz Eigenes in der Landschaft aktueller Malerei. Dazu gehört auch, dass der Computer seinem Job als Webdesigner vorbehalten bleibt, mit dem er seine Künstlerexistenz absichert - gewissermaßen "Halbe Halbe", wie das der Ausstellung ihren Titel gebende Bild heißt.
 
Machen Sie sich nun Ihr eigenes assoziationsreiches Bild!
 
Dabei viel Freude!
(Erdegeschoss, Halbetage und 4. Etage).
 
 
Dr. Ingrid Koch, 15. März 2007
Publizistin und Kulturjournalistin in Dresden